Kämmen oder Kardieren? Kammgarn oder Streichgarn?

von Alexandra Weikert

bereits in der deutschen Textbeilage von Spin Off im Sommer 1997 erschienen, ergänzt im September 2002.

Ein Wollvlies kann unterschiedlich für das Spinnen vorbereitet werden - entweder Du kämmst oder Du kardierst es. Auf den ersten Blick könnte man meinen, daß es nur unterschiedliche Arbeitsgänge sind, aber es gibt grundlegende Unterschiede. Gekämmte Wolle wird zu Kammgarn versponnen, kardierte Wolle zu Streichgarn. Zwei verschiedene Prozesse ergeben also zwei sehr unterschiedliche Garne.

Am Anfang der Geschichte stand sicherlich das Kämmen, so wie wir auch unsere Haare kämmen. Aber die gebräuchlichsten Techniken wurden von der Mutter auf die Tochter überliefert, gehörten zum Alltag und wurden nicht speziell erwähnt. Deshalb kann auch keine Entstehungsperiode dafür genannt werden. Anfänglich wurde Wolle vermutlich mit einem gewöhnlichen Kamm bearbeitet, und anschließend zu einem glatten Garn versponnen. Später wurde die Methode des Kämmens weiterentwickelt, was eine Unterscheidung der Garne nach sich zog. Dieses Wollekämmen stammt vermutlich aus dem 13. Jahrhundert und wird den Flamen zugeschrieben. Bereits seit dem Beginn des 2. Jahrtausend wurden immer feinere Fäden für Kleidungsstoffe und Wandteppiche verarbeitet. Zu dieser Zeit war in Flandern auch das Zentrum der Wollspinnerei. Ab dem 15. Jahrhundert wurden feine, langhaarige Wollen der englischen Schafe eingeführt, deren Wolle man für Qualitätsarbeit benötigte. Gleichzeitig verwendeten die Flamen bereits spanische Wolle, um daraus sehr feines Kammgarn zu spinnen. Bei Strafe war es verboten, die feinen Wollen zu kardieren; sie wurden damals immer aussortiert und gekämmt. Heute ist es üblich, Wolle, die gekämmt werden soll, erst zu kardieren. Außerdem werden die kürzeren Fasern, die herausgekämmt werden, zu Streichgarn verarbeitet. Mit der industriellen Revolution und der vielfachen Verfügbarkeit von Kardenbelag und des maschinellen Antriebs wurde die Technik des Kämmens sehr zurückgedrängt. Es erfreut sich heute, besonders bei Handspinnern, wieder großer Beliebtheit.

Beim Kämmen werden ungewaschene Wollfasern parallel gelegt und kürzere gebrochene Fasern, sowie Pflanzenteile, herausgekämmt. Zurück bleiben lange, saubere Fasern. Zum Kämmen werden langstapelige Wollen bevorzugt, die sich nicht so gut zum Kardieren eignen, wie z.B. Lama- und Alpakawolle, die zudem sehr viel Pflanzenteile beherbergen. Verspinnst Du einen Kammzug (mit kurzem Auszug), erhältst Du meist einem fest gedrehtes, sehr haltbares, glänzendes Garn, das nicht sehr elastisch ist, aber wenn es verstrickt ist, gut die Form hält. Allerdings kann man beim Kämmen nicht so einfach mischen - nur Fasern der gleichen Länge - kürzere Fasern werden immer wieder herausgekämmt. Das muß Dich aber nicht daran hindern verschiedene Fasern erst zu kämmen und sie anschließend mit der Kardiermaschine zu mischen.

Kardierte Faserbänder oder -lagen enthalten auch kürzere Fasern und Pflanzenteile, die auch nach dem Kardieren in verschiedene Richtungen angeordnet bleiben. Daraus werden Streichgarne, die man an ihrer rustikalen Struktur erkennt. Die Fasern liegen weitgehend wirr im Garn, das sehr flauschig, locker, luftig und warm ist, aber auch leichter fusselt als Kammgarn und die Form nicht so gut hält, wenn es verstrickt wird. Zum Kardieren werden kurzstaplige, nicht so feine Wollen verwendet, die mit häufig langem Auszug versponnen werden. Langstapelige Wollen verheddern sich beim Kardieren gerne, außer, sie werden vor dem Kardieren zerschnitten. Außerdem kann man beim Kardieren Fasern unterschiedlicher Länge mischen.

Eine dritte Art Garn erhältst Du durch das Spinnen aus der Falte mit gekämmter Wolle. Dazu legst Du die gekämmte Locke gefaltet über den Zeigefinger der Hand, in der Du normalerweise die Fasern hältst. Dadurch wird die Faserlänge halbiert und das fertige Garn ist ein wenig flauschiger als herkömmliches Kammgarn, aber von sehr hoher Qualität und Haltbarkeit.

Eine weitere Vorbereitungsmethode ist das Öffnen der einzelnen Wolllocken mit einer Flickkarde, bei der die Fasern parallel gelegt werden, die kürzeren Fasern aber nicht ausgekämmt werden. Beim Spinnen erhät man ein kammgarnähnliches Garn.

Die vorgesehene Verwendung des Garns sollte über die Art der Vorbereitung entscheiden, abhängig von der Stapellänge und der Verunreinigung durch Pflanzenteile. Ein geübter Spinner wird alle Vorbereitungsmethoden benutzen, um mit einer Vielzahl von Vliesen und Fasern eine ganze Palette verschiedener Garne für verschiedene Zwecke herzustellen.

Literaturhinweise

Candace Crockett, Das komplette Spinnbuch, Hörnemann, 1980.
Miriam Mertens, Das große Spinnbuch, Haupt, 1981.
Martin Nowak und Gislinde Forkel, Wolle vom Schaf, Ulmer, 1989.
Mabel Ross, Encyclopedia of Handspinning, Interweave Press, 1989.


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Letzte Änderung: 29. September 2002 durch Alexandra

Weitere Änderungen und Ergänzungen demnächst beabsichtigt.